Bilateral Dialogues: Phanar, July 1967
Paul VI – Athenagoras
Ansprache Papst Pauls VI. beim Besuch des Patriarchen Athenagoras I. in der Kathedrale des Phanars
25. Juli 1967
Vor nun etwas mehr als drei Jahren schenkte uns Gott in seiner unendlichen Güte, dass wir uns im Heiligen Land begegneten, wo Christus seine Kirche gegründet und sein Blut für sie vergossen hat. Wir waren beide als Pilger dorthin gekommen, wo das glorreiche Kreuz unseres Erlösers aufgerichtet wurde, von wo er „von der Erde erhöht, alles an sich zieht" (Joh 12, 32).
Heute ist es die gleiche Liebe zu Christus und seiner Kirche, die uns - von neuem als Pilger - in dieses edle Land führt, wo die Nachfolger der Apostel sich einst im Heiligen Geist versammelten, um den Glauben der Kirche zu bezeugen. Wir erinnern hier an die vier großen Ökumenischen Konzilien von Nikäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalkedon, die von den Vätern sogar mit den vier Evangelien verglichen wurden.
Es waren die ersten Male, da sie einander begegneten, aus der ganzen christlichen Welt von damals herkommend. Beseelt von ein und derselben Bruderliebe haben sie unserem Glauben einen Ausdruck gegeben, dessen Reichtum und Dichte noch heute
den Glauben und die liebende Betrachtung aller Christen nähren.
Liegt nicht ein Zeichen für die göttliche Vorsehung darin, dass diese Pilgerreise für uns die erwünschte Gelegenheit ist, das Auf Wiedersehen zu verwirklichen, das wir zu Jerusalem wechselten, nachdem Eure Heiligkeit uns gesagt hatte: „Wir haben einander zu treffen gesucht und dabei miteinander den Herrn gefunden?" Liegt das Geheimnis unserer Begegnung, des fortschreitenden Einander-Wiederfindens unserer Kirchen nicht in diesem unablässigen Suchen nach Christus, in der Treue zu Christus, die uns in ihm konvergieren lässt? Zu Beginn des Jahres, an dem wir die Neunzehnhundertjahrfeier des erhabensten Glaubenszeugnisses der Apostel Petrus und Paulus feiern, kommen wir wieder zusammen, um von neuem den Kuss der Bruderliebe auszutauschen, und zwar da, wo unsere Väter im Glauben zusammengekommen sind, um wie aus einem Herzen die heilige unteilbare, wesensgleiche Dreifaltigkeit zu bekennen.
Im Licht unserer Liebe zu Christus und unserer Bruderliebe entdecken wir die tiefe Identität unseres Glaubens noch mehr, und die Punkte, worin wir noch auseinander-gehen, dürfen uns nicht hindern, diese tiefe Einheit wahrzunehmen. Auch hierin übrigens muss uns die Liebe behilflich sein, wie sie Hilarius und Athanasius zurzeit, da schwerwiegende Differenzen den Episkopat spalteten, behilflich war, über die Unterschiedlichkeiten des Vokabulars hinweg die Identität des Glaubens wahrzunehmen. Verteidigte nicht der heilige Basilius in seiner Hirtenliebe den wahren Glauben an den Heiligen Geist, indem er es vermied, sich gewisser Worte zu bedienen, die, so zutreffend sie auch sein mochten, doch für einen Teil des christlichen Volkes
zu Ärgernis Anlass geben konnten? Und war der heilige Cyrill von Alexandrien nicht 433 damit einverstanden, seine so schöne Theologie beiseitezulassen, um mit Johannes von Antiochien Frieden zu schließen, nachdem feststand, dass trotz unterschiedlicher Ausdrucksweisen ihr Glaube der gleiche war?
Ist das nicht ein Gebiet, auf dem der liebende Dialog mit Nutzen vor sich gehen kann, indem er viele Hindernisse wegräumt und Wege zur vollen Glaubensgemeinschaft in der Wahrheit eröffnet? Sich in der Verschiedenheit und Treue einig zu finden, kann nur das Werk des Geistes der Liebe sein. Zwar ist die Einheit im Glauben für die volle Gemeinschaft erfordert, aber die Verschiedenheit der Gepflogenheiten ist nicht ein Hindernis, im Gegenteil. Sagte nicht der heilige Irenäus, „der seinen Namen zu Recht trug, denn er war dem Namen und dem Verhalten nach ein Friedens-stifter" (Eusebius, Hist. Eccl., V, 24, 18), die Verschiedenheit der Bräuche „bestätige den Übereinklang des Glaubens" (aaO. 13)? Und der große Lehrer der Kirche Afrikas, Augustinus, erblickte in der Verschiedenheit der Bräuche einen der Gründe für die Schönheit der Kirche Christi (14 Ep. 32).
Die Liebe lässt uns der Tiefe unserer Einheit besser bewusstwerden, gleichzeitig aber lässt sie umso schmerzlicher empfinden, dass es heute noch unmöglich ist, diese Einheit zu einer Konzelebration zu entfalten, und sie spornt uns an, alles zu unternehmen, um den Anbruch dieses Tages des Herrn zu beschleunigen. Wir sehen so klarer, dass den Häuptern der Kirchen, ihrer Hierarchie die Pflicht obliegt, die Kirchen auf den Weg zu bringen, der zur vollen Gemeinschaft zurückführt. Sie müssen dies tun, indem sie einander als Hirten des ihnen von Christus anvertrauten Teils der Herde anerkennen und achten, für den Zusammenhang und das Wachstum des Gottesvolkes Sorge tragen und alles vermeiden, was es auseinandersprengen oder Verwirrung in es hineinbringen könnte. So können wir schon jetzt, und zwar gerade durch dieses Bemühen, ein wirksameres Zeugnis für den Namen Christi ablegen, der gewollt hat, dass wir eins seien, damit die Welt glaube.
Die Liebe ist das Lebensmilieu, das zur Entfaltung des Glaubens notwendig ist, und die Gemeinschaft im Glauben ist die Vorbedingung für die volle Manifestation der Liebe, die in der Konzelebration zum Ausdruck kommt.
Möge der Herr, der uns zum zweiten Mal gewährt, den Kuss seiner Liebe auszutauschen, uns erleuchten und unsere Schritte und Bemühungen diesem so sehr herbeigesehnten Tag entgegenleiten. Er gebe uns, dass wir mehr und mehr einzig von der Sorge beseelt sind, das, was er von der Kirche will, treu zu erfüllen; er gewähre uns das lebendige Gespür für das eine Notwendige, dem alles Übrige untergeordnet oder geopfert werden muss. In dieser Hoffnung umarmen wir Sie mit, ungeheuchelter Liebe" (Röm 12, 9) in einem heiligen Kusse (Röm 16, 16).